Quantcast
Channel: thebabyshambler » Pedram Shahyar
Viewing all articles
Browse latest Browse all 2

Nach der #BILDBOYKOTT-Demo: Wieso die Kritik und der Protest weitergehen müssen

0
0
Foto: Jens Burger - Fotografie

Foto: Anabel Schunke et al. by Jens Burger – Fotografie

Die Hybris des Kai D.

von Anabel Schunke

Es ist ein Foto, genauer genommen ein Screenshot, den Kai Diekmann vorgestern auf seinem Twitter-Account postet. Dazu kommentiert er: „Massen-Demo heute gegen @BILD vor dem Axel-Springer-Verlag in Berlin! Ein Fall für @DLF, @Hallaschka_HH, @RTDeutsch.“ Dazu ein Tränen lachender Smiley, der die Abwertung, das Lustig-Machen über all jene, die sich gestern zur #BILDBOYKOTT-Demo versammelt haben, noch einmal unterstreichen soll. Der gewählte Screenshot passt zur BILD. Aus dem Zusammenhang, unvorteilhaft. Die Kamera zeigt in Richtung Axel-Springer-Haus, von der Demo und ihren Rednern weg. Zu sehen ist eine vermeintlich traurige Ansammlung von nur vier Menschen, von denen jeder ein Schild gegen das in den Händen hält, wofür die BILD steht. Hetze, Krieg, Lügen, Rassismus. Es ist ein selektiver Bildausschnitt, vermutlich am Ende oder am Anfang aufgenommen als noch fast keiner da oder schon fast alle weg waren. Es passt zu Diekmann, es passt zur BILD genau diesen Ausschnitt zu wählen, zeigen zu wollen, was sie über uns denken und was andere über uns Demonstranten denken sollen. „Ein paar Spinner, mehr nicht.“

Aber nein, Herr Diekmann, wir sind keine “Spinner”. Und auch wenn ich weiß, dass Ihr Drang, uns in eine Ihrer zahlreichen hetzerischen Schubladen einzuordnen, uns einfach als „Spinner“, „Verschwörungstheoretiker“ oder „Putin-Versteher“ abzutun, unendlich groß ist, werden wir uns doch nie in eines Ihrer vorgefertigten Raster für all jene pressen lassen, die sich nicht dem Meinungsdiktat der BILD unterwerfen. Darüber hinaus zeigt Ihre Arroganz einmal mehr, dass wir absolut auf dem richtigen Weg sind, dass wir genau das kritisieren, was gesellschaftlich kritisiert gehört.

In sechs Tagen haben wir 300 Menschen auf die Straße gebracht. Über 15 000 Menschen haben bis zu diesem Zeitpunkt den Livestream von RT Deutsch auf Youtube gesehen. Währenddessen breitet sich der #BILDBOYKOTT weiter aus. Immer mehr Händler verbannen die BILD aus ihren Regalen. Die Kritik wird lauter, spätestens seit der geschmacklosen Berichterstattung über den Germanwings-Absturz erreicht sie auch die Mitte der Gesellschaft. Nein, Herr Diekmann, das hier ist kein kleiner Protest von ein paar „Spinnern“. Das hier ist mehr. Das hier geht weiter. Das hier geht erst durch das Netz und dann auf die Straße.

Vier Modelle – Was die Überheblichkeit von Kai Diekmann über die BILD-Zeitung aussagt

Wer wissen will wie die BILD arbeitet, wer verstehen will nach welchen Mustern das Konzept BILD funktioniert, der muss lediglich das Verhalten derer betrachten, die für BILD arbeiten. So spiegelt sich in Kai Diekmanns kurzem Kommentar zum Protest all das wider, was die BILD ausmacht. Es ist die Arroganz des Glaubens an die eigene Unantastbarkeit, an die eigene Erhabenheit gegenüber dem “Fußvolk” auf der Straße, die neben der direkten Diffamierung und Einordnung in die Schublade der verirrten Spinner am meisten auffällt. Und das ist der Entscheidende, der vielleicht wichtigste Fakt in Bezug auf die BILD, ihre Methoden und ihr Selbstverständnis. Diese Punkte sollen im Folgenden aufgegriffen werden.

Das Verhältnis von Politik, Medien und Volk lässt sich anhand verschiedener idealtypischer Modelle beschreiben. Ich möchte an dieser Stelle vier dieser Modelle kurz skizzieren, um anschließend das Selbstverständnis und die Arbeitsweise der BILD herauszuarbeiten. Hierfür werde ich erst zwei klassische Modelle vorstellen, um mich dann schlussendlich verstärkt der medialen Wirklichkeit bzw. der Methoden des Springer-Konzerns, insbesondere der BILD-Zeitung zuzuwenden.

Beginnen wir zunächst mit der urdemokratischen Vorstellung des „Bottom-Up-Modells“, welches die Politik „von unten“ durch den Willen der Wähler über das Sprachrohr der Medien beherrscht wissen will. Die Medien fungieren hier also im klassischen Sinne als Mittler zwischen Volk und Regierung bzw. Politik, wobei den Medien hierbei vor allem die Rolle des Verstärkers der Meinung des Volkes gegenüber der Politik und der herrschenden Regierung beikommt. Die Medien sind in diesem Modell also als Teil der Herrschaftsausübung des Volkes zu verstehen. Sie helfen ihm, seine Interessen gegenüber der Politik zu artikulieren.

Das zweite Modell beschreibt den umgekehrten Weg und trägt dazu passend den Namen „Top-Down-Modell“. Auch hier fungieren die Medien als Mittler zwischen Regierung/Politik und Volk, werden aber eher als Sprachrohr der Politik verstanden, die ihrer Vermittlungsfunktion gegenüber dem Volk gerecht wird, indem sie ihre Entscheidungen mithilfe der Medien gegenüber dem Volk erklären. Vor allem aber geht das „Top-Down-Modell“ von einer Hierarchie des politischen Kommunikationsprozesses, wobei die Politik auf der obersten Stufe Entscheidungen fällt und diese Impulse durch die Medien an die „reale Welt“ weitergibt.

Das dritte Modell, welches ich hier darstellen möchte, ist das „Mediokratie-Modell“. Dabei handelt es sich um eine Theorie, nach der die Medien mindestens als eine Art vierte Gewalt innerhalb des Staates „mitherrschen“ würden bzw. sogar eine Übergewalt gegenüber Volk und Politik gewonnen hätten. Sie impliziert damit, dass die Massenmedien selbst zu einem wesentlichen Teil die öffentliche Meinungsbildung und damit auch die politische Agenda beeinflussen. Aus sachlicher Information wird hierbei nur allzu oft seichte Unterhaltung und personifizierte Politik.

Beim vierten Modell handelt es sich um das sogenannte „Biotop-Modell“, welches dem Zusammenspiel von Politik und Medien zu Lasten des Volkes den Vorzug erteilt. Hierbei wird die Beziehung zwischen Politikern und Medien als eine Art „Tauschverhältnis“ mit wechselseitiger Abhängigkeit angesehen.

So viel zu den modelltheoretischen Überlegungen. An dieser Stelle möchte ich noch einmal betonen, dass es sich um theoretische Überlegungen handelt. Keines der vier Modelle tritt in reiner, unverfälschter Form in der Wirklichkeit auf. Vielmehr müssen wir insbesondere unsere heutige Zeit als eine Art Mischung aus all diesen Modellen begreifen. Zudem hat das Internet und die immer größere Vielfalt alternativer Medien und Informationsmöglichkeiten einen weiteren Raum geschaffen, dessen Potenzial bis dato nur zu erahnen und noch lange nicht ausgeschöpft ist. Es soll an dieser Stelle auch nicht um eine gesamte Betrachtung der Medienlandschaft gehen. Viel wichtiger ist es, die BILD vor diesem Hintergrund einzuordnen und zu verstehen, weshalb dies nicht nur eine Kritik, ein Protest gegen die von BILD vermittelten Inhalte ist, sondern auch gegen die Methodik, das Prinzip der BILD-Zeitung dahinter.

Es ist offensichtlich, worauf ich hinaus möchte. Die BILD ist weit davon entfernt, einem der klassischen Modelle, der Vorstellung des journalistischen Sprachrohrs von Gesellschaft und Politik gerecht zu werden. Vielmehr handelt es sich bei der BILD um das Paradebeispiel der realen Mediokratie. Zumindest ist es wohl das Modell, welches am ehesten das Selbstverständnis der Chefetage der BILD-Zeitung widerspiegelt. Aber auch dem „Biotop-Modell“ kommt in Bezug auf die Arbeitsweise der BILD eine besondere Bedeutung zu. In diesem „Tauschverhältnis“ zwischen Politik und Medium ist es vor allem die BILD, welche die Oberhand behält, welche systematisch Druck durch Abhängigkeit auf die Politik und ihre Akteure ausübt. Wer mitspielt, wer der BILD gibt, was sie will, wird verschont. Wer dies nicht tut, wer dem „Tauschhandel“ eine Absage erteilt, wird durch die Meinungsmache der BILD-Zeitung im wahrsten Sinne des Wortes medial niedergemetzelt. Hierfür existieren etliche Beispiele. Der Übergang zur Mediokratie ist an dieser Stelle fließend. So zeigt sich schon im von BILD medial inszenierten Absturz das Bestreben dieses Blattes, nicht nur gemeinsame Sache mit der Politik zu machen, sondern darüber hinaus, selbst die politische Agenda oder auch die Karrieren einzelner Personen des öffentlichen Lebens zu fördern oder eben zu stürzen. Nirgends lässt sich das so gut erkennen wie in der “Causa Wulff” oder der kürzlich erfolgten Druckmachung in Bezug auf die Hilfspakete an Griechenland gegenüber den Abgeordneten des Bundestages. Wenn wir von der BILD sprechen, geht es nicht mehr hier und da um eine journalistische Meinung, eine Einschätzung der Lage, die auch bestimmte Ansichten der Bevölkerung aufgreift. Es geht um die gezielte Absicht, selber Politik zu betreiben und über allem steht die Frage: Wie weit können wir gehen, wie viel Einfluss können wir nehmen?

Die Antwort darauf ist einfach. So viel wie nie zuvor.

Im Falle Christian Wulff war die BILD zweifelsohne Hauptakteur und unabhängig davon, ob man Christian Wulff als Menschen mag, ob man sich für seine Aktivitäten privater oder politischer Natur interessiert, ist festzuhalten, dass es in den letzten Jahren wohl kaum ein derartiges Lehrstück moderner medialer Allmachtsphantasien gab wie dieses. Heute befinden wir uns bereits auf dem nächsten Level. Heute geht es nicht mehr nur um Personen, um einzelne politische Akteure in der Bundesrepublik Deutschland. Heute geht es, wie der Fall Griechenland zeigt, auch darum, ganze Länder gegeneinander aufzuhetzen. Von der Hetze gegen andere Kulturen oder gesellschaftliche Minderheiten ganz abgesehen. Nein, heute befinden wir uns in einer Zeit, in der die BILD-Zeitung Menschen dazu veranlasst, Selfies von sich mit einer BILD-Zeitung zu machen, auf deren Titelblatt in großen Lettern ein “NEIN” geschrieben steht. Ein “NEIN” gegen weitere “Hilfen” an die “faulen Griechen”. Dass es ernsthaft Menschen gibt, die dieser Aufforderung nachkommen, zeigt auf, wie weit die Manipulation und Aufhetzung der BILD-Zeitung schon vorangeschritten ist. Wie weit die Macht der BILD in den Köpfen der Menschen reicht.

Vor diesem Hintergrund ist es jedenfalls nicht verwunderlich wie Kai Diekmann sich im Internet präsentiert. Wer aufgegeben, wer ferner noch nie seiner eigenen journalistischen Verpflichtung als Mittler zwischen Volk und Regierung in einer Demokratie nachgekommen ist, der hat auch kein Problem damit, sich über dieses Volk lustig zu machen. Es ist die Hybris eines Mannes, der denkt, selber Politik machen zu können und dazu auch die Berechtigung zu besitzen. Die Hybris eines Mannes, der denkt, das „Fußvolk“ könne dem medialen Goliath BILD-Zeitung sowieso nichts. Das hier ist keine Verhöhnung von „linken Spinnern“, das hier ist die Verhöhnung einer ganzen Gesellschaft, die nicht kritisch genug ist, gegen ihre eigene Verhöhnung anzugehen. „Wir da oben, ihr da unten“ – nichts anderes offenbart sich hier.

Wieso wir eine gesamtgesellschaftliche Kritik brauchen

Umso wichtiger ist es, ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein, eine gesamtgesellschaftliche Kritik gegen die Methoden der BILD-Zeitung und des Springer-Konzerns zu etablieren. Es ist mir persönlich egal, ob Herr Diekmann ein arroganter Mensch ist, der sich über andere stellt, aber es ist mir nicht egal, dass diese Zeitung immer noch so über die Meinung in diesem Land bestimmt, dass man sich als eigenes politisches Organ versteht, dass man spaltet, wo man den Dialog unterstützen sollte, dass man sich so sehr über jegliche ethische und moralische Normen einer Gesellschaft hinwegsetzt, dass anscheinend Menschen ohne Gewissen darüber entscheiden, was andere Menschen denken sollen. Es geht nicht nur um zweifelhafte Inhalte, es geht auch um das Prinzip dahinter.

Die Zeit für eine breite, gesamtgesellschaftliche Kritik ist gekommen. Mag es sein, dass man nicht jeden dafür erwärmen kann, Partei für jemanden wie Christian Wulff zu ergreifen, mag es auch sein, dass Menschen geblendet von der Hetze glauben, dass es bei der “Rettung” Griechenlands wirklich um eine “Rettung” der „faulen Griechen“ und nicht der Banken geht, so hat der Germanwings-Absturz bzw. die begleitende Berichterstattung der BILD hierzu einen wichtigen Aspekt offenbart: Wer sich an den grundsätzlichen ethischen und moralischen Regeln einer Gesellschaft vergreift, der erntet auch eine grundsätzliche Kritik. Diese grundsätzliche Kritik wird nun formuliert, es gilt, sie zu nutzen, die Menschen zu mobilisieren. Wir tragen den Protest in die Mitte der Gesellschaft auf dass er sich gesamtgesellschaftlich ausweitet und nehmen somit Kai Diekmann seine Schubladen.

Der Text wurde von BREITBAND BARTUNEK bereits vertont:

Rebellunion hat sich nach der Kundgebung mit einem Offenen Brief an Kai Diekmann, Julian Reichelt und die Verantwortlichen des Axel-Springer-Verlages gewandt.

Die Videos der Veranstaltung:

Weitere Texte von Anabel Schunke:

#BILDBOYKOTT – Der Protest muss auf die Straße!

Frauen und Politik:  An der „Zielgruppe“ vorbei

Wo ist euer Gerechtigkeitssinn?

Zum Thema auch:

#BILDBOYKOTT- Demo am 11. April 2015: Für die notwendige Erneuerung des Journalismus in Deutschland



Viewing all articles
Browse latest Browse all 2

Latest Images





Latest Images